Quelle: http://www.br.de
Neurobiologe Gerald Hüther: „Wissen kann man nicht beibringen“
Immer mehr Kinder in Deutschland leiden unter hohem Stress. Neurobiologe und Lernforscher Prof. Gerald Hüther sieht das jedoch nur als Symptom eines viel größeren Problems: „Wir behandeln unsere Kinder wie Objekte, die man nach Wunsch formen kann.“
Erneut gingen die Schüler Singapurs als Sieger des PISA-Tests hervor. Sowohl in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz hat der Stadtstaat aus Südostasien den Rest der Welt abgehängt. Den Preis für diese Goldmedaille zahlen die Kinder. Tage von bis zu zwölf Stunden, vollgestopft mit Unterricht, Nachhilfe und sonstigen Förderprogrammen sind keine Seltenheit. Die Ansprüche der Eltern sind enorm, und eine ganze Nachhilfeindustrie profitiert davon.
Freude am Lernen
Eine Tendenz, die auch in Deutschland erkennbar ist. Jedoch Kindern Wissen einzubläuen, nur weil wir Erwachsenen meinen, dass sie das am besten für den Wettbewerb des Lebens vorbereitet, kann langfristig auch das Gegenteil verursachen. „Wissen müssen sich die Kinder selbst aneignen wollen“, sagt der Neurobiologe und Lernforscher Prof. Gerald Hüther. Das Wichtigste was Schule Kindern mitgeben sollte, ist die Freude am Lernen. „Wer die Freude am Lernen verliert“, so Hüther, „verliert auch die Freude am Leben.“ Eines der Hauptprobleme in Deutschland sei jedoch, dass unser Schulsystem nie dafür gedacht war, lernfreudige Kinder auszubilden.
Schulen dienen mehrheitlich der Systemerhaltung
„Wir erziehen Kinder zu Einzelkämpfern“
An dieser Vorstellung der Bildung hat sich seit damals nicht viel geändert. Doch unsere Gesellschaft hat es. Wettbewerb und Effizienz sind die Götter der modernen Ökonomiegesellschaft. Laut Hüther bedeute das für uns Folgendes:
„Unsere gegenwärtige Gesellschaft ist im Wesentlichen eine vom Wettbewerb bestimmte Konsumgesellschaft, und deshalb brauchen wir Kinder, die möglichst wettbewerbsfähig sind. Für den Wettbewerb bereiten wir die Kinder optimal vor, und als Kunden bereiten wir sie insofern vor, dass sie aus den Schulen ja meist herauskommen und nicht wissen, was sie eigentlich wollen, wozu sie da sind und wozu das Lernen überhaupt gut ist. Wir erziehen sie zu Einzelkämpfern.“ Gerald Hüther
Damit erliegen wir einem doppelten Trugschluss. Aus Sicht der modernen Lernforschung kann man niemanden dazu bringen, sich vorselektierten Lernstoff dauerhaft anzueignen, wenn man es nicht gleichzeitig schafft, Begeisterung für das zu Lernende zu erzeugen. Oder wieviel wissen Sie noch aus Ihrer Schulzeit?
Darüber hinaus bereiten wir auf diese Weise niemanden auf die Herausforderungen der zukünftigen Arbeitswelt vor. In Zeiten, in denen man sich beinahe jedes Wissen der Welt angoogeln kann, bräuchte man eher Nachwuchskräfte, die dieses Wissen, welches sie sich gerne angeeignet haben, kreativ umsetzen können. Wer braucht schon einen Handwerker, der weiß, was ein Schraubenzieher ist, aber nicht weiß, was er damit tun soll?
Belohnung und Bestrafung ist „Abrichtung und Dressur“
Ein erster Schritt hin zu selbstverantwortlichen und kreativ denkenden Kindern könnte zu Hause gemacht werden. Kinder zu belohnen, wenn sie etwas gut gemacht haben oder eben zu bestrafen und zu rügen, wenn sie etwas falsch gemacht haben, mag an sich logisch klingen, hat aber auch mindestens genauso logische Nachteile.
Man dürfe das natürlich machen, meint Gerald Hüther aber: „Das ist Abrichtung und Dressur wie bei Tieren im Zirkus.“ Diese dressierten Kinder „machen zur Not sogar Abitur mit 1,0, aber sie haben sich nicht entfaltet, sondern sind in einer bestimmten Weise zu Recht gebogen worden.“
Kritik an Chefs der Weltkonzerne
Ohne jemanden namentlich zu nennen, richtet der Lernforscher dabei eine direkte Kritik an die Chefetagen der großen Weltkonzerne. Darin säßen Entscheider, die die beste Bildung erhalten hätten, jedoch wohl eine Bildung, die offenbar nicht dazu geführt hätte, dass diese Personen „so etwas wie ein Gewissen oder eine Selbstachtung oder eine Würde entwickelt haben, die sie dazu veranlassen würde, ihre Unternehmen auf eine Art und Weise zu führen, die dazu beiträgt, dass andere nicht darunter leiden.“
Was für eine Welt wollen wir eigentlich?
Wir erhalten ein Jahrhunderte altes Schulsystem aufrecht und messen Kinder zu stark an unseren Erwartungen, konditionieren sie sogar wie Tiere, wenn man Gerald Hüther Glauben schenken mag. Das alles, obwohl wir nur das Beste wollen. Doch woher sollten wir es auch besser wissen? Wir sind doch selbst durch dieses System gegangen, wurden an den gleichen Maßstäben gemessen.
Genau hier verorten Kritiker wie Gerald Hüther das Grundproblem. Die Ausbildung unserer Kinder, die Morallosigkeit unseres Wirtschaftssystems und auch unsere Vorstellung einer gut gemeinten Erziehung seien Symptome einer nicht geführten Gesellschaftsdebatte. Bevor wir darüber geredet hätten, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen, hätten wir angefangen zu wirtschaften. Die Wirtschaft sollte eigentlich dem Menschen dienen, doch mittlerweile dienten wir der Wirtschaft. Debatten über Wirtschaftsethik, Bildungspolitik oder Erziehung gingen somit die unbequeme Frage voraus: Was für eine Welt wollen wir eigentlich?
Kinder brauchen eine stabile Vertrauensbasis
Wir könnten dieses Fundament laut Hüther jedoch stärken. Wenn wir Kindern mehr Freiheiten ließen, lernten sie Vertrauen in sich selbst. Wenn wir für unsere Kinder bei Problemen tätig würden, anstatt ihnen „einfach nur über den Kopf zu streicheln“, hätten sie mehr Vertrauen in Andere. Wenn wir ihnen sagten und vorlebten: „Egal was kommt, es wird wieder gut!“, dann hätten sie mehr Vertrauen in das Leben an sich. Daraus bestünde das Fundament, das unsere Kinder in der Wettbewerbsgesellschaft stärken könne, meint der Neurobiologe.
Die Zukunft der Arbeit
Ob man Gerald Hüthers Gedanken nun folgen mag oder nicht, etwas müssen wir ändern. Denn längst haben wir Werkzeuge erfunden, die schneller und effektiver arbeiten als wir. Jungen Menschen einfach viel Wissen beizubringen und ihnen vorzugaukeln, mit einem Abitur seien sie für die Zukunft bestens vorbereitet, ist vorgestrig. Keine moderne Gesellschaft braucht Nachwuchs, der mit seinem Schulwissen zu den Datenmengen von Google und Co. in Konkurrenz tritt.
Die Zukunft der Arbeitswelt besteht aus Problemlösern und kreativ denkenden Köpfen, die wissen, wann und wozu sie welches Wissen brauchen, wo sie es herbekommen und wie sie es am besten anwenden. Es braucht Menschen, die richtig Lust darauf haben, sich ständig neues Wissen anzueignen, weil es ihnen Spaß macht und nicht weil sie müssen. Wir sind dazu verpflichtet ihnen genau das beizubringen. Wer weiß, vielleicht erziehen wir genau so die Menschen, die sich irgendwann zu fragen trauen: Was für eine Welt wollen wir eigentlich?
Quelle: http://www.br.de
Betreffend der Aussage über die Erziehung zu Einzelkämpfer erlebe ich – zu meiner Freude – dass unsere jüngere Tochter (13) und ihre Freundinnen gemeinsam lernen und sich unterstützen. Und dies mit viel Lust und Spass verbunden. Dabei nutzen sie zusätzlich die Möglichkeiten die ihnen durch die Vernetzung über die social Media geboten wird.
Mit 13 ist sie schon über die Landesgrenze hinaus vernetzt und tauscht sich aus und ist mit viel Entdeckergeist unterwegs. Selbstverständlich sind uns auch die möglichen/ angenommenen/ vermeintlichen Nachteile der Nutzung dieser Medien bekannt. Dennoch: Vielleicht lehren uns unsere Nachkommen eines besseren, indem sie sich einfach nicht wie erwartet in von uns geschaffenen System verhalten?
In der Geschäftswelt wurden und werden laufend neue Modelle der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Nutzung von Wissen über alle Grenzen hinaus geschaffen.
Ich bin der Hoffnung und auch der Überzeugung, dass unsere Kinder einen neuen Weg finden werden, den wir uns mit unserem „alten“ Denken nicht einmal vorstellen können. Und ich bin bereit, sie dabei zu unterstützen.
Lieber Herr Hüther,
ich danke Ihnen für Ihre Arbeit.
Veränderungen sind dringend notwendig und werden immer mehr sichtbar. Aber es gibt noch viel zu tun. Ich habe Sie auch schon live erlebt. Damals bei Ihrer Bus-Tour durch Deutschland. Man konnte Ihnen ansehen, dass das ein ziemlich steiniger Weg ist. Immer wieder Menschen zu verdeutlichen, was der Mensch wirklich braucht um sich frei entwickeln zu können. Das es wichtig ist, dass Kinder sich selbst kennen lernen dürfen, um ihr mitgebrachtes Potenzial auch leben zu können. So würde jeder automatisch seinen ganz persönlichen Beitrag zu einer gesunden Gesellschaft leisten. Ohne Druck und Stress von Außen.
Ich arbeite als Bewusstseinscoach und biete auch Beratungen für Eltern an. Es ist wesentlich, dass Eltern sich endlich trauen, sich aus den Verstrickungen der Vergangenheit zu lösen, um sich in aller erster Linie wieder selbst zu spüren. Nur so können sie auch die wahren Bedürfnisse ihrer Kinder verstehen und darauf eingehen.
Wir bleiben dran… 😉
Weitere Informationen und Anregungen gibt es auf meinen Seiten:
https://www.hoeheres-bewusstsein.de/
http://leben-mit-kindern.blogspot.de/
Liebe Grüße Antje
Hallo, ist mir echt aus dem Herzen gesprochen. Es gibt zum Glück heute schon Schulen (privat), wie z. B. Montessorischule in der unser Sohn integriert ist, die genau an der richtigen Stelle ansetzen!! Ich kann nur jedem empfehlen, soweit finanziell und organisatorisch machbar, diese Art von Schule zu wählen!! Hier gilt der Grundsatz: Hilf mir , es selbst zu tun:-)!! Es ist einfach nur herzeröffnend…liebe Grüße, Yvi